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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 2. Petrus 3, 8 - 13 Das größte Projekt aller Zeiten

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'Last Angel', Nicholas Roerich, 1942

'Last Angel', Nicholas Roerich, 1942

Ewigkeitssonntag

Das größte Projekt aller Zeiten 2. Petrus 3, 8 - 13

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2008

Eins aber sei euch nicht verborgen, ihr Lieben, dass ein Tag vor dem Herrn wie tausend Jahre ist und tausend Jahre wie ein Tag. Der Herr verzögert nicht die Verheißung, wie es einige für eine Verzögerung halten; sondern er hat Geduld mit euch und will nicht, dass jemand verloren werde, sondern dass jedermann zur Buße finde.
Es wird aber des Herrn Tag kommen wie ein Dieb; dann werden die Himmel zergehen mit großem Krachen; die Elemente aber werden vor Hitze schmelzen, und die Erde und die Werke, die darauf sind, werden ihr Urteil finden. Wenn nun das alles so zergehen wird, wie müsst ihr dann dastehen in heiligem Wandel und frommem Wesen, die ihr das Kommen des Tages Gottes erwartet und erstrebt, an dem die Himmel vom Feuer zergehen und die Elemente vor Hitze zerschmelzen werden. Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt. 2. Petrus 3, 8 - 13

Als ich Anfang der 70er Jahre nach Deutschland kam, ist mir schnell etwas aufgefallen, was ich bis dahin noch nicht erlebt hatte: nämlich dass viele Menschen in Angst leben. Besonders unter der älteren Generation gab es Ängste: Angst vor Hunger und Armut, Angst vor einem neuen Krieg und Angst vor der Sowjetunion. Es gab eine tiefsitzende Angst, dass die Sowjetunion die Bundesrepublik überfallen und vereinnahmen würde. Ich habe damals Menschen kennengelernt, bei denen diese Angst vor dem Regime im Osten so stark war, dass sie an Hysterie grenzte. Ein Gemeindeglied ist mit seiner Familie an den Bodensee umgezogen, damit er in die Schweiz fliehen könnte, falls sich seine schlimmsten Befürchtungen realisieren würden. Ein anderer Mann erzählte mir, dass er besonders am Wochenende Angst hätte, wenn die Bundeswehrkasernen unterbesetzt waren. Wenn die Sowjetarmee vorhätte, nach Westen zu marschieren, dann würde sie es garantiert an einem Wochenende tun, hat er gemeint. Aber was mir besonders in Erinnerung geblieben ist, ist die Ehrfurcht, die zum Vorschein kam. Es gab damals ein Zittern vor der Sowjetunion, das an Ehrfurcht grenzte; als ob das Moskauregime so etwas wie göttliche Allmacht besäße. Und genau diese Reaktion wollen Gewaltherrschaften erzeugen: sie wollen Ehrfurcht und Zittern erregen, sie wollen eine göttliche Rolle spielen.

Aber Staatsmächte, die einen göttlichen Anspruch an ihre Untertanen stellen, sind nicht unvergänglich. Keinem Regime ist es gelungen, auf Dauer eine göttliche Vollmacht aufrechtzuerhalten. In diesem Zusammenhang muss ich an einen Mann denken, den ich 1991 in Sachsen-Anhalt kennenlernte - in der ehemaligen DDR. Er behauptete, dass er 1180 Jahre alt wäre. Und er erklärte sein Alter mit den folgenden Worten: „Ich habe das Tausendjährige Reich überlebt, das Adolf Hitler einleitete. Ich habe die Mauer überlebt, von der Erich Honecker sagte, sie würde Hundert Jahre lang bestehen. Und außerdem habe ich meinen 80 Geburtstag gefeiert. Also bin ich – zusammengerechnet - 1180 Jahre alt.“ Seine Aussage veranschaulicht, wie schnell göttliche Machtansprüche von Gewaltherrschaften zerfallen können.

Alle Regierungen auf dieser Erde sind etwas Vorläufiges, etwas Vorübergehendes. Dies ist eine biblische Wahrheit, die nicht allgemein bekannt ist. In dieser Hinsicht ist es lehrreich, auf das Land Israel zu schauen. Es gibt in Israel ultraorthodoxe Gruppierungen, die sich weigern, die jetzige Regierung in Jerusalem anzuerkennen. Das hat nichts mit Politik zu tun, sondern ist von einer leidenschaftlichen Bibelauslegung abgeleitet. Nach der Bibel ist Gott der alleinige Regierungschef von Israel. Und strenggläubige Juden warten auf den Tag, an dem Gott seine Regierungsgewalt in Israel verwirklicht, indem er den Messias entsendet. Eine Minderheit von ultraorthodoxen Juden sagt: Nur der Messias darf in Israel regieren, deshalb ist jede Staatsmacht ungültig, die sich anmaßt, in Israel regieren zu wollen.

Was diese Extremisten verkünden, klingt wie Fanatismus. Aber was sie behaupten, hat eine Allgemeingültigkeit, auch für uns Christen.

Denn die Bibel verkündet mit Eindeutigkeit, dass diese Welt zuletzt nur einen einzigen Regierungschef hat, nämlich Gott, und dass Gott in dem Messias, Jesus von Nazareth, mit seiner ganzen Vollmacht erschienen ist und eines Tages wieder erscheinen wird. Alle Staatsmächte und Herrschaften auf dieser Erde sind deshalb zuletzt nebensächlich. Keine Regierung auf dieser Erde hat einen endgültigen Anspruch auf die Menschen. Gott ist der einzige, der anzubeten und zu verherrlichen ist.

Aber seine Herrschaft ist noch verborgen. Es gibt deshalb eine Spannung zwischen der sichtbaren und der unsichtbaren Wirklichkeit. Scheinbar gibt es in dieser Welt viele Herren. Genauer gesagt, es gibt Regierungen, Diktatoren, Gewaltherrschaften, Terrorherrschaften. Und der oberste Herrscher dieser Welt ist scheinbar der Tod, denn zuletzt verschlingt er alles. Aber auch die Herrschaft des Todes hat ein Verfallsdatum, das Gott allein kennt.

Denn es gibt eine verborgene Wirklichkeit, die erst am Ende der Zeit enthüllt wird. Der Text aus dem zweiten Petrusbrief beschreibt das Erscheinen Gottes am Ende der jetzigen Menschheitsgeschichte. Es wird davon gesprochen, dass alles, was jetzt sichtbar ist, in Flammen aufgehen wird.

Feuer ist in der biblischen Geschichte eine Erscheinungsform Gottes. Wenn Gott erscheint, wird er mit dem Feuer seiner Gegenwart alles, was vergänglich ist, auflösen. Auf diese Weise wird eine neue Schöpfung eingeleitet. Wie es heißt: wir warten auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt.

Viele von Ihnen, die Sie heute hier versammelt sind, haben in diesem Jahr eine geliebte Person verloren. In diesem Gottesdienst am letzten Sonntag im Kirchenjahr geht es darum, Ihnen den Trost zu verkündigen, der in den biblischen Verheißungen enthalten ist. Wichtig dabei ist es, dass die biblischen Verheißungen nicht verwässert werden; es kommt auf Vollständigkeit an. Sehr oft allerdings wird biblische Hoffnung reduziert und nur bruchstückhaft vermittelt.

Es ist zwar tröstlich, zu wissen, dass unsere Verstorbenen in Gott aufgehoben sind. Es ist tröstlich, zu wissen, dass wir nur vorübergehend von ihnen getrennt sind, dass in Gott Lebende und Verstorbene eigentlich nicht getrennt sind, denn „es gibt keinen Abschied für diejenigen, die in Gott verbunden sind“, wie ein Kirchenvater sagte. Alle diese Aussagen sind Teil der biblischen Verheißung.

Aber die Verheißungen der Bibel sind noch viel größer und viel umfangreicher. Es geht nicht nur um das Seelenheil unserer Verstorbenen – so wichtig das ist. Es geht darum, dass Gott alles abschaffen wird, was uns ängstigt und versklavt. Es geht um das größte Projekt, was man sich vorstellen könnte; es geht um nichts Geringeres als einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt.

In diesem Zusammenhang sollen Sie an die Ängste denken, die vorhin beschrieben wurden. Einige von Ihnen, die Sie heute hier versammelt sind, wissen von den Ängsten, die Ihre Angehörigen durchgemacht haben. Einige von Ihnen haben mitbekommen, wie abgrundtief die Ängste sind, die in uns Menschen stecken. Diese Ängste sind sogar größer als Todesangst. Es gibt z. B. die Angst vor Entwürdigung, die Angst, alles zu verlieren, die Angst, total auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, die Angst, ein absoluter Pflegefall zu sein, die Angst, alle Selbstbestimmung zu verlieren und als hilfloses Opfer ausgeliefert zu sein. Solche Ängste sind so abgrundtief, dass eine bruchstückhafte Vertröstung auf das Jenseits nicht ausreicht. Wir Menschen brauchen die biblischen Verheißungen in ihrer Vollständigkeit. Wir brauchen die volle Wucht der Zukunftsvisionen der Bibel. Wir brauchen einen Gott, der nicht nur den Tod überwinden kann, sondern der eine Antwort hat auf alles, was die Menschheit versklavt oder entwürdigt.

Immer wieder habe ich erlebt, dass gerade ältere Menschen sich Sorgen machen um das Leiden der Welt. Ihr eigenes Seelenheil ist nicht im Vordergrund, sondern im Vordergrund ist das, was sie in der Zeitung lesen und in Fernsehnachrichten sehen. Gerade Menschen, die kurz vor dem Lebensende stehen, sind besonders empfindlich für das Leiden der Menschheit, für die Ungerechtigkeiten, die von Regierungen ausgehen, für Hunger und Armut, für Verbrechen und Naturkatastrophen. Menschen, die kurz vor dem Übergang in die Ewigkeit stehen, haben eine tiefe Verwundbarkeit, wenn sie mit Katastrophenmeldungen konfrontiert werden. Solche Menschen suchen etwas, was größer ist als die Verheißung eines persönlichen Seelenheils.

Deswegen ist der Text, der für heute vorgesehen ist, besonders trostreich. Der Text offenbart einen Gott, der zuletzt eine Antwort auf alles hat, was uns in dieser Welt ängstigt.

Es wird von einem Religionslehrer berichtet, der versucht hatte, seinen Schülern diesen Text aus dem 2. Petrusbrief nahe zu bringen. Er schilderte mit dramatischen Worten, wie diese jetzige Welt in Flammen aufgehen wird, wie die Grundfeste der Erde erschüttert werden. Die Sonne wird sich verfinstern, die Sterne werden vom Himmel fallen, das Feuer Gottes wird alles auffressen. Es wird einen neuen Himmel und eine neue Erde geben. Danach gab es Stille im Raum, denn der Lehrer wollte seinen Schülern Gelegenheit geben, diese apokalyptische Vision auf sich wirken zu lassen. Zuletzt meldete sich ein Schüler, der fragte: „Wenn das alles eintreten wird, wird die Schule ausfallen?“ Was dieser Schüler sagte, klingt trivial. Aber seine Rückmeldung ist eigentlich richtig. Für ihn war Freiheit von Schulunterricht der Inbegriff aller Freiheiten, der Inbegriff des himmlischen Lebens. Und dafür sind wir vorgesehen: für eine umfassende Freiheit, Freiheit von allem, was uns auf dieser Erde bedrückt, versklavt, ängstigt, verkrüppelt, entwürdigt oder lähmt. Denn wir sind nicht nur für ewiges Leben vorgesehen. Wir sind vorgesehen für einen neuen Himmel und eine neue Erde, auf denen Gerechtigkeit wohnt. Was das genau bedeutet, können wir noch nicht wissen. Es genügt, zu wissen, dass Gott sich zuletzt durchsetzen und offenbaren wird. Zuletzt wird sich Gott alles unterordnen. Zuletzt wird Frieden und Gerechtigkeit auf eine umfassende und endgültige Weise eintreten.

Das Kunstwerk 'Last Angel', Nicholas Roerich, 1942 und dessen Reproduktion gehören weltweit zum "public domain". Das Bild ist Teil einer Reproduktions-Sammlung, die von The Yorck Project zusammengestellt wurde. Das copyright dieser Zusammenstellung liegt bei der Zenodot Verlagsgesellschaft mbH und ist unter GNU Free Documentation lizensiert.

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