Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigt von Frau Bruder:

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Predigt: Gehalten von Frau Bruder am Freitag, 02. März 2012 in St. Wendel

Weltgebetstag 2012

Steht auf für Gerechtigkeit

Steht auf für Gerechtigkeit

Liebe Schwestern und Brüder,

„Steht auf für Gerechtigkeit!“ So rufen uns die Frauen aus Malaysia zu und nehmen uns durch ihre Liturgie hinein in dieses schwierige Thema. Eben haben sie uns die Frage gestellt: Welche Ungerechtigkeiten beschäftigen uns? Welchen kleinen Schritt können wir dagegen unternehmen? Ich denke, Ihnen sind sicherlich sofort Ungerechtigkeiten eingefallen, ob im persönlichen oder im gesellschaftlichen Umfeld. Durch meine Arbeit in der Klinikseelsorge begegne ich dieser Frage fast täglich. Letzt stand in unserem Fürbittbuch: Gott, ist das gerecht, dickes Fragezeichen. Er ist ein so guter Mensch! Wie soll er jetzt weiterleben? Es ging um einen Familienvater, bei der Arbeit abgerutscht, abgestürzt, gelähmt.

Die Frage und die Suche nach der Gerechtigkeit, sie treiben uns um. Sie können uns sogar in den Wahnsinn treiben. Das berühmte Beispiel aus der Literatur: Michael Kohlhaas, der sich selbst und seine Menschlichkeit in seinem Kampf für Gerechtigkeit verliert. „Es geschehe Recht, selbst wenn darüber die Welt zugrunde gehen sollte“. Der Kampf um die Gerechtigkeit ist ein schwieriger Balanceakt, denn ohne energische Beharrlichkeit bewegt sich nichts, wie das Gleichnis der Witwe zeigt, und gleichzeitig hat das Wort Gerechtigkeitsfanatiker nicht umsonst einen negativen Klang.

Die Frage nach der Gerechtigkeit ist eine der großen Menschheitsfragen. In der Bibel begegnet sie von Anfang an und dann treibt Gott, so könnte man sagen, diese Frage auf die Spitze: Warum muss der Gerechte soviel leiden? In Jesus Christus begegnet uns der gerechte Mensch, der dann Leid und Tod erfährt, der am Kreuz schreit: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Manchmal wünschte ich mir einfache Antworten auf die Frage nach der Gerechtigkeit. So nach dem berühmten Jesaja-Vers: Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege - Spruch des Herrn. So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken. Muslimische Patientinnen und Patienten drücken ihr Vertrauen oft so klar aus: „Inshallah“. Wie Gott will. Gott führt mich auf seine Weise. Wer bin ich, dass ich Gottes Gerechtigkeit beurteilen könnte?
Oder im Buddhismus die Überzeugung, dass es in Erfahrungen von Ungerechtigkeit einen verborgenen Sinn gibt: Ich leide, weil ich noch etwas erkennen muss. Sicherlich kennen Sie all diese verschiedenen Antwortmöglichkeiten durch Gespräche mit anderen, vielleicht auch als eigener innerer Dialog.

Als Kind fand ich den Spruch meiner sehr gläubigen Oma tröstlich: „Gottes Mühlen mahlen langsam, aber gerecht“. Er wird es schon richten. Dann als Jugendliche fand ich diese Haltung zu passiv, zu naiv: Begeistert haben wir auf Kirchentagen das Lied gesungen: „Das könnte den Herren der Welt ja so passen, wenn erst nach dem Tode Gerechtigkeit käme, erst dann die Herrschaft der Herren, erst dann die Knechtschaft der Knechte vergessen wäre für immer.“ Heute weiß ich, dieses Lied ist nach einem Gedicht des reformierten Pfarrers Kurt Marti und die letzte Strophe lautet: Doch der Befreier vom Tod ist auferstanden, ist schon auferstanden, und ruft uns jetzt alle zur Auferstehung auf Erden, zum Aufstand gegen die Herren, die mit dem Tod uns regieren." Auch hier geht es um Aufstehen, Aufstand. Doch unser Aufstehen, unser Aufstand gründet in der Auferstehung. Von Ostern her tragen wir eine Hoffnung in uns, die uns mutig aufstehen lässt gegen den Tod, gegen Ungerechtigkeit und Leid. Heute würde ich sagen: das gehört zusammen, der Jenseitsglaube meiner Oma und das Aufstehen, der Aufstand: Steht auf für Gerechtigkeit.

Ja, ich glaube dass unser Engagement für Gerechtigkeit immer diesen Ausblick braucht; dass nach dem Tode die Gerechtigkeit aufgerichtet wird für immer. Denn ohne diese Hoffnung, ohne dieses Vertrauen, können wir nicht kämpfen, jedenfalls nicht mit langem Atem. Manchmal finde ich es sehr spannend in welchen Zusammenhängen mir diese Glaubenshaltung begegnet. In der Therapie mit traumatisierten Menschen nutzt man zum Beispiel die Kraft der inneren Vertrauens- und Hoffnungsbilder. Und auch andere Ansätze in Beratung oder Therapie zeigen, dass Veränderungen eine sog. vorweggenommene Hoffnung brauchen. Hoffnungsbilder ziehen uns nach vorne, sie helfen uns konkrete Schritte zu tun. Die Wunderfrage gilt in vielen therapeutischen Schulen als Standard: „Wenn Sie hier weggehen und das Problem wäre gelöst, was würden Sie dann anders machen?“ Durch diese Frage wird der Klient aufgefordert, sich in seiner Vorstellung in einen Rahmen zu begeben, in dem das Problem bereits gelöst ist oder gelöst werden kann. Wir brauchen vorweggenommene Hoffnungsbilder für erste Schritte in Richtung Veränderung. Jesus weiß das: Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden satt werden.

Ein Missionar in Papua-Neu-Guinea erzählt einmal, dass er sich schwertat, die christliche Hoffnung zu übersetzen. Es gab kein Wort für Hoffnung in dieser Sprache. Nach einer seiner Predigten sagte einmal ein kleiner Junge: Ich weiß jetzt, was du meinst. Ihr Christen, Ihr könnt hinter den Horizont sehen. Hinter den Horizont sehen, das war für den Jungen ein Bild für die christliche Hoffnung. Aus der festen Zuversicht, dass es über die sichtbare Welt hinaus etwas gibt, können wir einen anderen Blickwinkel einüben. Der Frankfurter Pfarrer Lothar Zenetti –hier in St. Wendel besonders bekannt - hat es treffend ausgedrückt:
Menschen, die aus der Hoffnung leben, sehen weiter.
Menschen, die aus der Liebe leben, sehen tiefer.
Menschen, die aus dem Glauben leben, sehen alles in einem anderen Licht.

Wir sind noch nicht satt in unserem Hunger nach Gerechtigkeit, aber Jesus schenkt uns einen Vorgeschmack. Deshalb können wir mit diesem Hoffnungsbild im Herzen aufstehen für Gerechtigkeit: jede an ihrem Platz, jeder an seinem Platz. Denn:
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden satt werden. Amen.

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