Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Evangelisch-Lutherische

DREIKÖNIGSGEMEINDE

Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Historisches - Apenburg, Partnergemeinde der damaligen Südgemeinde
Berichte von den Besuchen im Jahre 1985, 1986 und von weiteren Begegnungen

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'Ortsschild', 1985

APENBURG - Partnergemeinde der damaligen Südgemeinde

Die Verbindungen zu DDR-Partnergemeinden gehören zu der Geschichte und deshalb auch zu der Identität unserer Gemeinde.

Die damaligen Dreikönigsgemeinde hatte eine Beziehung zu der evangelischen Gemeinde in Gardelegen, die Frau Gisela Schröder bis an ihr Lebensende pflegte.

Die damalige Südgemeinde hatte eine Partnergemeinde etwas nördlich von Gardelegen. Von den ersten zwei Besuchen in die DDR-Gemeinde Apenburg wird hier berichtet. Es geht darum, bedeutsame Erinnerungen zu dokumentieren, die sonst in Vergessenheit geraten könnten.

Bericht von dem ersten Besuch im Jahre 1985 und von weiteren Begegnungen
von Helmut Diehl mit Mitwirkung von Pfr. Reinhard Flach

Die erste Besuchsgruppe: Karoline und Helmut Diehl, Gretel Hosser, Irene Protzmann, Helga Rutkowski, Pfr. Otto Dettmering

Grenzüberwindung

Viele von uns erinnern sich noch an die Trennung Deutschlands als Folge des Zweiten Weltkriegs in Ost- und Westdeutschland – Deutsche Demokratische Republik (DDR) und Bundesrepublik Deutschland (BRD). Atombewaffnete Armeen standen auf beiden Seiten des „Eisernen Vorhangs“, einer Grenze, die mitten durch Deutschland ging.
Wie können wir auf die andere Seite der deutsch-deutschen Grenze kommen, um mit Leuten von „Drüben“ zu reden und unsere Gefühle auszudrücken? Diese Frage stellte sich der Kirchenvorstand unserer Gemeinde zu Beginn der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Die Dreikönigskirche hatte Gardelegen als Partnergemeinde und wir haben mit der evangelischen Kirchengemeinde Gemeinde Apenburg in der damaligen Kirchenprovinz Sachsen Kontakt aufgenommen. Unser Kirchenvorsteher Herr Karl-August Schmullius, der oft beruflich auf Reisen in der DDR zu tun hatte, besuchte Herrn Pfarrer Reinhard Flach und seine Frau Brigitte und berichtete darüber. Dann hat Kurt Schulze die Kontakte weiter betrieben. Ein erster Besuchstermin wurde für den Herbst 1985, am 20. – 22. September, nach der Ernte ausgemacht. Viele Apenburger arbeiteten in der Landwirtschaft, aber spätestens seit 1970 nicht mehr als privat wirtschaftende Bauern sondern in der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, andere als Handwerker oder Angestellte z.B. auch einer Kirchlichen Waldgenossenschaft.

'Kirche in Apenburg', 1985

Kirchenglocken zum Empfang

Als wir vor dem Pfarrhaus in Apenburg ankamen, läutete Pfarrer Flach die Kirchenglocken. Es war ein Empfang, den wir, die dabei waren, nie vergessen werden. Wir vergaßen dabei die bedrückenden Eindrücke bei den Passkontrollen bei der Einreise in die DDR. Einige von uns haben ein halbes Fläschchen Baldrian ausgetrunken, um sich zu beruhigen.

Die Apenburger hatten für uns ein Fest vorbereitet. Eine große Kuchentafel, alles selbst gebacken und anschließend gab es Abendbrot mit Würsten aus der Hausschlachtung. Gefüllte Eier, selbst eingelegte Gurken und Salate. Wir waren überwältigt.

Wir wurden nach Serviettenfarben platziert. Es sollte kein Frankfurter neben einem Frankfurter sitzen, sondern immer ein Apenburger dazwischen. Damit gleich ein Austausch unter uns möglich war. Alle Sachsenhäuser wurde einer Gastfamilie zugeführt. Wir fühlten uns sofort zu Hause, bei den Familien Plönnigs, Müller, Wiswedel, Schäfer, Flach, Krüger, Tegge und viele anderen liebenswürdigen Familien.

Sonntag

Am Sonntag war in der Kirche in Apenburg Festgottesdienst. Gesangsfreudige von uns haben ein Kirchenliederständchen gesungen. Die Umgebung von Apenburg haben wir teils gemeinsam oder mit unseren Familien erkundet. Die Altmark ist von der Landwirtschaft geprägt. Auffallend waren die großen zusammenhängenden Getreidefelder der LPGs. Große Rindvieh- und Schweinzuchten wurden genossenschaftlich betrieben. Uns interessierten auch in den Dörfern die kleinen Feldsteinkirchen, die Städte Magdeburg, Salzwedel, Tangermünde und viele andere Orte. An den Ortseingängen wurden wir meist von großen Transparenten (Losungen) mit politischem Inhalt begrüßt.

'Gruppenphoto', 1985

Weitere Besuche

Wir sind beeindruckt von der Liebe und Zuneigung, die uns die Altmärker schenken. Nach diesem ersten Zusammenkommen, folgten in den Jahren bis zu Wende noch viele.
Einmal zogen wir mit von kräftigen Ackergäulen gezogenen zwei Kremsern mit viel Gesang durch den Drömmling. Bremsen störten die Pferde. In Magdeburg empfingen uns die 5 törichten Jungfrauen, es gab auch 5 kluge.

Wie Pfarrer Flach erzählte, waren die Frankfurter damals erstaunt, dass nicht hinter jedem Busch ein Beobachter gesessen hatte. Sie hatten die Vorstellung, dass das MfS (Ministerium für Staatssicherheit) alles registrierte. Sie erlebten aber, dass wir fröhlich und ungezwungen zusammen sein konnten.

Nach dem Mauerfall

Vier Jahre nach dem Mauerfall trafen wir uns z.B. mit den Apenburgern Kirchenältesten zu einem Austausch im Harz in Altenbrak. Da konnten die Gespräche auch Angelegenheiten berühren, die vorher nicht so deutlich ausgesprochen wurden. Auch in Naumburg (Hessen) gab es ein Treffen der beiden Kirchenvorstände, wir hatten vieles zu bereden. Das kommunistische System war zu Ende. Unsere Freunde aus Apenburg konnten ihre Erfahrungen mit der früheren DDR frei erzählen.

Kontakt bis heute

Heute können wir ohne Anmeldung bei der Polizei in Klötze im heutigen Sachsen-Anhalt und ohne Umtausch von Westmark in Ostmark nach „Drüben“ fahren. Die Apenburger können ohne Einladung von „angeblichen“ älteren Verwandten, sogar paarweise und ohne Erreichung des Rentenalters, nach dem „Westen“ kommen. Und davon wurde in den folgenden Jahren auch reichlich Gebrauch gemacht. Es gibt wieder ein Deutschland. Es ist ein Geschenk Gottes, dass die Vereinigung ohne Gewalt zustande kam. Viele Freundschaften haben bis heute gehalten. Briefe, Emails, Telefonate und gegenseitige Besuche halten das Band, das in anderen Zeiten geknüpft wurde. Zur Verabschiedung von Herrn Pfarrer Phil Schmidt am Pfingstsonntag 2011 war u. a. der ehemalige Pfarrer von Apenburg Herr Pfarrer Reinhard Flach, der jetzt im Ruhestand lebt, gekommen. Er war mit uns im Gottesdienst in der Dreikönigskirche und beim anschließenden Sommerfest im Gemeindehaus in der Tucholskystraße dabei.

Ortsschild Kirche in Apenburg Hinterstraße Apenburg Pfarrhaus Gruppenphoto Gruppenphoto Pfarrfamilie Flach Pfr. Dettmering, Pfr Flach, Irene Protzmann, Helga Rutkowski, Helmut Diehl im Pfarrhaus Brigitte Flach, Gretel Hosser, Irene Protzmann, Ehepaar Krüger Begegnung Apenburg vom Turm Spaziergang im Park

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Gruppenphoto

Besuch in Apenburg am Pfingstwochenende 1986 - von Phil Schmidt

Am Pfingstwochenende 1986 besuchte ich mit 8 Jugendlichen die DDR-Partnergemeinde der damaligen Südgemeinde, in Apenburg, Sachsen-Anhalt. (Die Gruppe hieß damals „Junge Gemeinde“, heute heißt sie „Gruppe für junge Erwachsene“).

Die damalige Dreikönigsgemeinde hatte eine Beziehung zu der evangelischen Gemeinde in Gardelegen, durch die wir auf dem Weg nach Apenburg gefahren sind.

Die Mitglieder der Gruppe:

Klaus Brandt, Daniela Gebert, Wiebke Gorny, Claus Jobst, Christina und Monika Ohly, Kai Ring, Ulrike Schultheiß, Phil Schmidt Pfr.

Pfarrer Flach

Big Brother hört alles

Damit wir in die DDR einreisen konnten, brauchten wir eine Einladung von dem Pfarrer der Gemeinde, Reinhard Flach. Als ich vor der Reise mit ihm telefonierte, wollte er mit mir über die Berufsbezeichnungen der Gruppenmitglieder sprechen (meistens Studierende), und ich erwähnte, dass einer der Mitfahrenden ein Zivildienstleistender war. Ich habe gleich am Telefon gemerkt, dass der Tonfall des Pfarrers sich veränderte, als wir über diese Person redeten. Hinterher, als wir direkt miteinander sprachen, hat er mir gesagt, dass er den Zivildienstleistenden von der Besucherliste streichen musste, weil ich seine Berufsbezeichnung am Telefon erwähnt hatte. Er klärte mich auf: wenn es etwas gäbe, was in der DDR gut funktionieren würde, dann wäre es das Abhörsystem der Staatssicherheit. Alle Gespräche eines Pfarrers wurden aufgezeichnet. Und wenn der Zivi auf der Besucherliste gestanden hätte, dann wäre die Einreise der gesamten Gruppe gefährdet gewesen. Die DDR wollte nicht, dass Zivis aus dem Westen ins Gespräch mit DDR-Jugendlichen kämen; das könnte dazu führen, dass Zivildienst in der DDR - als Alternative zum militärischen Dienst - ins Gespräch kommen könnte.

Ein Geldgeschäft

Mitte der 80er Jahren war es relativ leicht, eine Einreisegenehmigung zu bekommen (offiziell „Berechtigungsschein zum Empfang eines Visums“), denn finanziell war es für die DDR vorteilhaft, möglichst viele Besucher einzulassen. Jeder Besucher war verpflichtet, täglich 25 DM in 25 ostdeutsche Mark eins zu eins umzutauschen, obwohl die DM mindestens dreimal wertvoller war wie die DDR-Mark. Bei unserem dreitägigen Besuch hatten wir keine Möglichkeit, 75 Mark auszugeben, denn wir wurden von unseren Gastgebern großzügig versorgt. Weil es nicht erlaubt war, DDR Geld aus dem Land zu nehmen, haben wir das umgetauschte Geld weitgehend bei der Gemeinde als Spende hinterlassen.

Du bist ein Wurm

Der Grenzübergang war jedes Mal aufregend. Es wurde uns gesagt, dass etwa 45 Minuten erforderlich sind, um die Formalitäten an der Grenze zu erledigen, aber es hat 90 Minuten gedauert. Man musste an der Grenze nicht nur die Reisepässe zeigen, sondern man musste sie aushändigen und sie waren für längere Zeit irgendwo verschwunden. Ohne Pass fühlte man sich zunächst ausgeliefert.
Die Grenzbeamten waren im Allgemeinen höflich und korrekt. Aber einige Grenzwächter hatten es verstanden, die Einreisenden einzuschüchtern und zu manipulieren. Durch Tonfall und durch Körpersprache konnten die Grenzbeamten vermitteln: In diesem Moment habe ich dir gegenüber alle Macht im Himmel und auf Erden; im Vergleich dazu bist du ein Wurm.
Ich habe zwei Erinnerungen, wie Grenzbeamte diese Macht ausspielten.

Begegnungen

„Sie müssen als Strafe 50 Mark pro Person bezahlen“

An einer Stelle stand auf ein Schild zu lesen: „Bis zur Linie fahren, wenn Sie dazu aufgefordert werden.“ Wir warteten auf das Zeichen zum Weiterfahren und durch eine Handgeste wurde ich als Autofahrer dazu aufgefordert, nach Vorne zu fahren. Ich fuhr bis zum offenen Fenster, an dem der Grenzbeamte stand und hatte dabei, ohne es zu merken, eine Linie am Boden um etwa 1 oder 2 Meter überschritten, die kurz vor dem Fenster war. Der Beamte machte mich darauf aufmerksam, dass ich unerlaubterweise weitergefahren war. Als Strafe sollten alle Autoinsassen DM 50,- zahlen. Wir waren von der Situation so eingeschüchtert, dass wir alle spontan anfingen, nach dem Bußgeld zu suchen. Dann sagte der Beamte, dass er einen Scherz gemacht hatte; wir brauchten nicht zu bezahlen. Er hatte dieses „Spiel“ schon mehrmals gemacht, hat er uns erzählt. Er wollte nur sehen, wie Leute reagieren.

„Sie wollen zu einer Kiiiirsche!!??“

Eine andere Erinnerung: ein Grenzbeamter fragte uns, wo wir hinfahren wollten und wir erwähnten, dass wir eine Kirchengemeinde besuchen wollten. Er fragte verwundert: „Was, Sie wollen zu einer KIRCHE?“ Als er „Kirche“ sagte, dehnte er das Wort aus und veränderte die letzten Buchstaben, so dass es wie „Kiiiirsche“ klang; seine Verachtung für die Kirche hat er durch seinen Tonfall bezeugt.

Aber wie gesagt: die Beamten waren meistens höflich und freundlich, und wurden sogar von Jahr zu Jahr freundlicher und weniger streng.

Der abgeschiedene Raum

Bei jedem Grenzübergang wurde eine Person aus einem Auto für eine Kontrolle ausgesucht. Man musste aussteigen, die eigene Tasche aus dem Auto nehmen und mit einem Beamten in einen abgeschiedenen Raum oder Platz gehen – was mir etwas unheimlich vorkam, denn warum sollte es keine Zeugen geben, wenn eine Tasche kontrolliert wird?
Bei der Einreise wurde ich für die Stichprobe ausgesucht. Der Beamte bat mich, meine Tasche auszuleeren. In meiner Tasche waren christliche Liederbücher und ich rechnete damit, dass der Beamte sie konfiszieren oder mindestens kommentieren würde, aber sie waren für ihn nicht interessant. Er wollte viel lieber die Spielkarten untersuchen, die ich dabei hatte, um festzustellen, ob etwas zwischen den Karten versteckt war. Als er mit seiner Untersuchung fertig war, hat er freundlicherweise meine Tasche aufgehalten, so dass es für mich leichter war, meine Sachen wieder einzupacken. In einer Mischung von Deutsch und Englisch wünschte er mir eine „schöne Drive“, eine liebenswürdige Geste.

Wie in eine Zeitmaschine einsteigen

Sobald man die Autobahn verließ und auf Landstraßen fuhr, hatte man das Gefühl, mindestens 50 Jahre zurückversetzt zu sein. Es wirkte so, als ob seit den 30er Jahren nichts verbessert oder renoviert worden war (was natürlich nicht stimmte). Für die Bewohner war es sicherlich deprimierend, mit Verfall leben zu müssen, aber auf mich wirkten die Dörfer charmant, wie in einem Dornröschenschlaf. Durch Modernisierung wirken manche westdeutsche Dörfer steril und seelenlos. Die Dörfer in Sachsen-Anhalt wirkten intakt und gemütlich – trotz Verwahrlosung.

Im Pfarrhaus

Bemerkenswert ist, dass die DDR-Dorfbewohner ihre Häuser damals nicht abgeschlossen hatten. Einmal habe ich mitbekommen, wie Pfr. Flach einen Besuch machte. Er klopfte an die Tür und ging sofort in das Haus hinein. Es galt als unhöflich, an der Tür zu warten, bis der Hausbewohner aufmachte. Nach der Wende war dieses Stück heile Welt vorbei: die Haustüren mussten nach 1989 abgeschlossen werden.

Erste Eindrücke und Klischeebilder

In dem Dorf unserer Partnergemeinde wurden wir von der Pfarrfamilie herzlich empfangen. Die Mitglieder unserer Gruppe wurden auf junge Familien verteilt. An dem ersten Abend gab es ein großes Treffen im Pfarrhaus: alle Gastfamilien und unsere Gruppe waren zusammen. Nachdem jeder sich vorgestellt hatte, lud Pastor Flach jede Person dazu ein, eine Frage zu stellen. Im Laufe dieses Frage-und-Antwort-Kennenlernens haben wir gemerkt, dass unsere Gastgeber über Entwicklungen im Westen gut informiert waren; sie wohnten in Grenznähe und schauten westdeutsche Fernsehprogramme (auch wenn es offiziell nicht erlaubt war).

An diesem ersten Abend konnten wir unsere Klischeebilder voneinander korrigieren. Unsere Gruppe hatte damit gerechnet, dass sich alle DDR-Bewohner wie Gefangene vorkämen, dass sie ständig in der Angst lebten, ein falsches Wort zu sagen, weil Spione und Spitzel in jeder Ecke lauerten, dass Ostdeutsche unfähig wären, spontan und fröhlich zu sein, weil sie dauerhaft unter Entbehrung litten, dass sie sofort auswandern würden, wenn die Mauer nicht da wäre.
Stattdessen erlebten wir Menschen, die fröhlich und zufrieden wirkten – vielleicht sogar noch fröhlicher als Westdeutsche -, die bleiben wollen, wo sie sind, und die offen und unbefangen von der Situation in der DDR erzählten.

Susanne Flach

Unsere Gastgeber hatten den Verdacht, dass junge Besucher von einer westlichen Großstadt verwöhnte Angeber sein könnten, die auf ihre ostdeutsche Nachbarn herabschauen würden, dass es uns in einem ostdeutschen Dort langweilig sein könnte, dass wir vielleicht unfähig wären, die einfachen Freuden des Dorflebens zu schätzen.

Diese vorgefertigten Meinungen, die ich etwas übertrieben darstelle, konnten wir schnell korrigieren. Allerdings wurde auch offen gesagt, dass man nie sicher sein könnte, ob ein guter Freund für die „Stasi“ (= Ministerium für Staatsicherheit) arbeitete.

Im Laufe des Besuches erlebten wir unsere gemeinsame Menschlichkeit. Und auf beiden Seiten gab es überraschende Entdeckungen. Wir waren überrascht, dass unsere Gastgeber uns so offen und so herzlich aufgenommen hatten und dass sie mit ihrem Leben in der DDR offenbar zufrieden waren, obwohl sie mit Einengungen lebten, die für uns im Westen unzumutbar wären.

Unsere Gastgeber, die eine distanzierte Beziehung zu der Kirchengemeinde hatten, waren überrascht, dass eine kirchliche Jugendgruppe so groß sein könnte (unsere Gruppe bestand damals aus 13 Personen). Sie waren auch überrascht, dass wir als kirchliche Gruppe so heiter und lustig wirkten. Auch konnten sie nicht einordnen, dass unsere Südgemeinde so viele Jugendgruppen hatte (zu diesem Zeitpunkt gab es 5 Jugendgruppen).

Ein Jugendlicher in der DDR, der eine enge Beziehung zu einer Kirchengemeinde hatte, musste fest damit rechnen, nicht studieren zu dürfen und keine zufriedenstellende Berufsperspektive zu bekommen. Aktives Christsein in der DDR bedeutete für alle Altersgruppen die Androhung von ökonomischen Nachteilen. Pastor Flach berichtete mir, dass es in der DDR (so weit er das mitbekommen hatte) keine Misshandlungen von Christen gab, wie das in anderen kommunistischen Ländern vorkam. (Nach der Wende im Jahre 1989 stellte es sich heraus, dass es einen Plan gab, Konzentrationslager in der DDR einzurichten, und dass bestimmte Vertreter der Kirche für Inhaftierung vorgesehen waren.)

Kirche und Staat

Am ersten Abend gab es auch eine Kirchenvorstandssitzung, zu der ich als Pfarrer von der Partnergemeinde eingeladen wurde.
Als ich Gelegenheit bekam, eine Frage zu stellen, fragte ich den Kirchenvorstand, ob sich die Beziehung zwischen Kirche und Staat in dem letzten Jahren verändert hätte.

Astrid Jäger von Apenburg

Die größte Veränderung, die von dem KV wahrgenommen wurde, war eine Intensivierung des Dialogs und der Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat. Offenbar hatte sich das SED-Regime damit abgefunden, dass die Kirche in der absehbaren Zukunft nicht verschwinden würde. Die Kirche wiederum hatte sich mit der sozialistischen Regierungsform abgefunden und sich dafür entschieden, eine Kirche innerhalb des Sozialismus zu sein.

Kein SED-Mitglied durfte Mitglied der Kirche sein, aber einige von ihnen machten kleine Spenden an die Kirche, besuchten den Gottesdienst am Heiligabend und wollten, dass ein Pfarrer sie beerdigte. Auch waren christliche Krankenhäuser beliebter als staatliche, weil die Behandlung in diakonischen Einrichtungen menschlicher war.

Turmrenovierung: Image oder Pragmatismus?

Eine Frage, die im Kirchenvorstand besprochen wurde, war bemerkenswert. Es ging darum, dass der Kirchturm dringend renoviert werden müsste. Die Kirchengemeinde konnte sich die Renovierung finanziell nicht leisten. Offiziell war der Staat für den Kirchturm verantwortlich, aber schaffte es nicht, diese Aufgabe wahrzunehmen. Unsere Südgemeinde in Frankfurt hatte angedeutet, dass wir bereit wären, DM 10.000 für die Turmrenovierung zu spenden. Der KV sagte mir: falls die Apenburg-Gemeinde diese Spende annehmen würde, würde der Staat schnell die Turm-Renovierung aufgreifen, denn solide westliche Währung zu bekommen hat Priorität vor Zentralplanung.

Aber es war nicht klar, ob das für das „Image“ der Kirche gut wäre (auch in die DDR hatte sich Englisch eingeschlichen). Drei Argumente sprachen gegen das Annehmen von Spendengeldern aus dem Westen:

  1. Die Kirche in der DDR stand unter dem Verdacht, eine subversive, westliche, kapitalistische Einrichtung zu sein. Wenn sie Geld aus dem Westen annehmen würde, würde sie dieses Vorurteil verstärken und es wäre schwieriger, die Skeptiker zu erreichen, die der Kirche gegenüber misstrauisch waren.
  2. Weil die Kirche es sich vorgenommen hatte, ein Teil der sozialistischen Gesellschaft zu sein, sollte sie nicht den Staat für Renovierungsaufgaben zur Rechenschaft ziehen, anstatt dem staatlichen Weg zu entgehen?
  3. Wer eine große Summe Geld von dem Westen bekam, war privilegiert, und in einer Gesellschaft, in der Privilegien selten waren, wäre das Image einer privilegierten Kirche nicht hilfreich. So hat eine Seite argumentiert.

Stempel im Pass

Aber auf der anderen Seite: die Mehrheit der Kirchenvorsteher fand es nicht problematisch, Geld aus dem Westen anzunehmen, denn fast alle Bewohner der DDR richteten sich nach besonderen, inoffiziellen Beziehungen, die es ermöglichten, so anständig wie möglich zu leben. Kirchenmitglieder wollten ein gutes Gefühl haben, wenn sie ihre Kirche anschauten; sie wollten nicht in einem vermodernden Gebäude Gottesdienst feiern.

Also standen zwei Symbole in Spannung zueinander: auf der einen Seite westliches Geld, ein Symbol der Privilegien und des Kapitalismus; auf der anderen Seite ein baufälliger Kirchturm. An diesem Abend konnte der Kirchenvorstand keinen Konsens finden. (Später entschied sich der KV für die pragmatische Lösung und nahm unsere Spende an)

Polizeiliche Anmeldung

Innerhalb von 24 Stunden musste ein Besucher sich bei der Polizei melden, um eine Einreisegenehmigung zu bekommen. Wir mussten zur Kreisstadt Klötze fahren, um die Formalitäten zu erledigen. Weil wir nur 3 Tage blieben, konnten wir gleichzeitig die Ausreisegenehmigung bekommen. Wir mussten vorweisen, dass wir pro Person 75 Mark umgetauscht hatten. Für diese Einreise- und Ausreisegenehmigungen werden zwei volle Seiten in einem Pass beansprucht. (Siehe Photo)

Die Stadt Klötze – wie viele DDR-Kleinstädte – sah aus wie eine Geisterstadt. Man sah fast keine Menschen auf den Bürgersteigen und kaum Autoverkehr auf der Straße.

Singen im Garten

Grillabend

An dem zweiten Abend waren wir an einer Gartenhütte versammelt, die knapp außerhalb des Dorfes lag. Wir haben zusammen gesungen, gespielt und Witze ausgetauscht. Vor allem haben wir ostdeutsche Witze über Trabbis, Volkspolizisten, Erich Honecker, Stasi und Russen gehört. Es hat mich überrascht, dass solche Witze so offen erzählt wurden, denn sie waren weitgehend derb und subversiv. Ein Beispiel: „Was ist der Unterschied zwischen Erich Honecker und einer falschen Verbindung am Fernsprecher?“ Antwort: „Kein Unterschied. Wenn man den Fehler merkt, sollte man ihn aufhängen!“

Ein Höhepunkt dieses Abends ergab sich, als Klaus Brandt, ein begabter Musiker unserer Gruppe, eigene Lieder mit Gitarrenbegleitung vorsang. Unsere Gastgeber hörten aufmerksam zu, denn die Lieder waren melodisch und sprachen Themen an, die unsere ostdeutschen Gastgeber durch eigene Erfahrung nicht kannten: z. B. Einsamkeit in einer großen Stadt, oder die Gefühle und Herausforderungen der Jugend im Westen. Am Ende des Abends sang unsere Gruppe ein Beatles-Lied vor, das den Abend schön abrundete.

Detlev Senkbeil von Apenburg

Pfingstmontag

Pfingstmontag war in der DDR ein Feiertag (nicht wegen der Kirche) und an diesem Tag gab es Gottesdienst. Der Gottesdienstbesuch war wegen unseres Besuches etwa zweimal so groß als sonst (ca. 50 Personen). Wir durften Grußworte im Gottesdienst sprechen, aber es war nicht erlaubt, dass jemand aus dem Westen etwas Inhaltliches im Gottesdienst übernehmen durfte.

Um 14 Uhr haben wir uns verabschiedet. Weil eine herzliche Verbundenheit entstanden war, hat die Verabschiedung zwei Stunden gedauert. Manche Augen waren feucht. Detlev, ein Forstarbeiter, sagte uns eindringlich: Euer Besuch war das größte Erlebnis meines Lebens.

Das klingt wie eine Übertreibung, aber dahinter steckte, dass es für uns alle etwas absolut Einzigartiges war, den „eisernen Vorhang“ zu überbrücken und eine warmherzige, fröhliche, christliche Gemeinschaft herzustellen. Wo es Trennung und Vorbehalte gab, gab es jetzt . mindestens momentan - Verbundenheit und Vertrauen.

Rückfahrt

Bei der Rückfahrt hatte eine Person in unserem Auto DDR-Münzen in der Hosentasche, die sie als Souvenirs behalten wollte. Es war zwar verboten, DDR-Geld aus dem Land zu nehmen, aber es schien eine harmlose Sache zu sein. Am Grenzübergang wurde ausgerechnet diese Person für die Stichprobe ausgesucht. Zum Glück werden bei solchen Stichproben offenbar nur die Handtaschen und Koffer überprüft, aber nicht die Hosentaschen. Für diese Person war das allerdings kein Trost; sie hatte sich offenbar ausgemalt, wie es wäre, einige Zeit in DDR-Untersuchungshaft zu verbringen. Als sie zurückkam war sie kreidebleich im Gesicht, und nachdem wir wieder in der BRD waren, mussten wir sofort anhalten, denn es wurde ihr übel und sie musste kurz aus dem Auto aussteigen. Danach ging alles besser.

Abschied

Austausch

Ich habe die Zoll- und Devisenerklärungen aufgehoben, die ich und die Leute im Auto ausgefüllt hatten. Die Geschenke, die wir mitbrachten, dokumentieren, was in der DDR gefehlt hatte oder dort zu teuer war:
Kaffee, Schokolade, Holzschutzlasur, Verzierwachs, Shampoo, Seife, Handcreme, Feinstrumpfhosen, Ananas, Bananen, Tafelkerzen.
Was wir von den Apenburgern geschenkt bekamen: Baumkuchen und Spargel (beide sind Spezialitäten der Alt-Mark).
Aber das größte Geschenk der Apenburger war ihre vertrauensvolle Gastfreundschaft und Warmherzigkeit uns gegenüber. Sie haben uns unermesslich bereichert. Dafür bin ich ihnen bis heute, 25 Jahre später, immer noch dankbar.

Danny, Kai, Monika, Klaus Wiebke, Uli Klaus, Christina Christina, Monika, Kai Danny Wiebke neben Wiepke Kai, Monika Stempel im Pass Detlev Senkbeil von Apenburg Susanne Flach Ein Motorraum wird untersucht Begegnungen Begegnungen Begegnungen Astrid Jäger von Apenburg Sabine Schultz von Apenburg Singen im Garten Pfarrer Flach im Pfarrhaus im Pfarrhaus Klaus, Danny, Uli Gruppenphoto Abschied

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